Jenseits reiner Rationalität: Wie Heuristiken uns helfen, Entscheidungen zu treffen

Wir müssen täglich unzählige kleine und große Entscheidungen treffen. Es fängt schon damit an, was wir zu Mittag essen, welchen Orangensaft wir kaufen und auf welche Fußballmannschaft wir wetten. Natürlich gibt es auch wichtigere Entscheidungen, wie den Kauf eines neuen Autos. Wenn uns genügend Motivation, Zeit und Informationen zur Verfügung stünden, könnten wir alle Optionen vergleichen und gründlich abwägen. Aber wie treffen wir Entscheidungen in der realen Welt, wenn unser Wissen, aber auch die zur Verfügung stehende Zeit und darüber hinaus auch unsere kognitive Kapazitäten begrenzt sind? Wenn wir wetten wollen, welche Fußballmannschaft die nächste Meisterschaft in England gewinnt und wir uns nicht mit Fußball auskennen, entscheiden wir uns vielleicht für Manchester United, einfach weil wir den Namen kennen. Wenn wir auf Diät sind und daher ein kalorienarmes Mittagessen in der Kantine wählen müssen, entscheiden wir uns vielleicht für das vegetarische Gericht, ohne auf die Inhaltsstoffe zu achten. Wenn wir schätzen müssen, welches Verkehrsmittel das gefährlichste ist, tippen wir vielleicht auf das Auto, weil uns am einfachsten passende Beispiele einfallen. Das sind nur drei Beispiele für sogenannte „Heuristiken“, die im täglichen Leben Anwendung finden. Aber was sind Heuristiken? Wann und warum verwenden wir sie? Und wie gut sind heuristische Entscheidungen?

Was sind Heuristiken?

Das Wort Heuristik bedeutet so etwas wie finden oder entdecken. Heuristiken sind mentale Strategien, Faustregeln oder Abkürzungen, die uns helfen, mit begrenztem Wissen und begrenzter Zeit Entscheidungen zu treffen und Urteile zu fällen. Wir verwenden sie häufig unbewusst und automatisch, können sie aber auch bewusst als Strategie wählen. Heuristiken lassen sich abgrenzen von Entscheidungsstrategien, die auf den Gesetzen der Logik, der Wahrscheinlichkeitsrechnung oder der Maximierung des erwarteten Nutzens basieren. Bei diesen Entscheidungsstrategien werden Probleme als mathematische oder logische Ausdrücke formuliert und mit einer Art Algorithmus gelöst. Ein Beispiel dafür wäre, alle relevanten Informationen zu suchen, jeder Information ein Gewicht zuzuordnen und die Informationen anschließend entsprechend ihrer Gewichtung zu einem Wert zu addieren. Heuristiken hingegen ignorieren bei der Suche einen Teil der verfügbaren Informationen und bei der Entscheidung manchmal sogar einen Teil der gefundenen Informationen.

Drei Arten von Heuristiken sollten Sie kennen: die Rekognitionsheuristik, die Take-the-Best-Heuristik und die Verfügbarkeitsheuristik.

Bei der Rekognitionsheuristik hängt die Entscheidung, allein von einem Kriterium ab: Rekognition, also Wiedererkennen. Wenn wir von zwei Objekten eines wiedererkennen und das andere nicht, dann sollten wir uns daher für das wiedererkannte Objekt entscheiden. Stellen Sie sich vor, Sie müssen entscheiden, welche der beiden Städte mehr Einwohner hat: New York oder Busan? Wir alle kennen New York, aber Busan wahrscheinlich nicht. In diesem Fall würden wir uns für New York entscheiden, weil wir den Namen schon einmal gehört haben. Aber was ist, wenn wir beide Städte kennen, wie New York und Los Angeles?

Beim Gebrauch der Take-the-Best Heuristik vergleichen wir die Eigenschaften von zwei Objekten nacheinander, bis wir eine Eigenschaft finden, die zwischen den Objekten differenziert. Aufgrund dieses Unterschiedes wird die Entscheidung getroffen. Wir vergleichen die Eigenschaften entsprechend ihrer Aussagekraft, beginnend mit der aussagekräftigsten. Eine solche Anordnung können wir anhand unserer Erfahrung vornehmen. Wenn wir wie im oben genannten Beispiel zwischen der Größe zweier Städte entscheiden müssen, dann können wir dies tun, indem wir nacheinander unser Wissen zu den Städten vergleichen. Ist eine der beiden Städte Hauptstadt eines Landes? Nein, keine. Hat eine der beiden Städte einen internationalen Flughafen? Ja, beide. War eine der beiden Städte irgendwann Austragungsort der Weltausstellung? Ja, New York, aber nicht Los Angeles. Somit entscheiden wir uns für New York, weil die erste Eigenschaft, die zwischen den beiden Städten unterscheidet, für New York spricht. Take-the-Best (zu Deutsch: Wähle das Beste), wird hier verstanden als: Entscheide Dich aufgrund der ersten zwischen den Alternativen differenzierenden Eigenschaft. Da die Eigenschaften zuvor anhand ihrer Aussagekraft in eine Reihenfolge gebracht wurden, ist die erste differenzierende Eigenschaft zugleich auch die am besten differenzierende. 

Aber es gibt nicht nur Heuristiken, die uns helfen, zwischen vorhandenen Alternativen zu wählen. Die Verfügbarkeitsheuristik ersetzt die schwierige Frage nach der Häufigkeit eines Ereignisses durch die einfachere Frage, wie leicht es uns fällt, passende Beispiele zu finden. Wenn wir beurteilen müssen, wie wahrscheinlich es ist, bei einer Geschwindigkeitsübertretung von der Polizei geblitzt zu werden, können wir versuchen, uns an solche Vorfälle in unserer Vergangenheit und in Unterhaltungen mit anderen zu erinnern. Wenn es uns leicht fällt, Beispiele zu finden, schätzen wir die Wahrscheinlichkeit als hoch, anderenfalls als eher gering ein.

Wie gut sind Heuristiken?

Wie wird beurteilt, ob eine Entscheidung gut ist oder nicht? Die Güte einer Entscheidung kann daran gemessen werden, inwieweit sie den Gesetzen der Logik, der Wahrscheinlichkeitsrechnung oder der Maximierung des erwarteten Nutzens entspricht. Eine Entscheidung gilt als optimal bzw. rational, wenn sie diese Normen erfüllt. Hierbei wird angenommen, dass mehr Informationen und mehr Berechnungen immer zu besseren Entscheidungen und Urteilen führen. Heuristiken hingegen versuchen, mit möglichst wenig Anstrengung ein möglichst gutes Ergebnis zu erzielen.

Es lassen sich leicht Situationen finden, in denen Heuristiken zu Fehlern führen. Japanische Tourist*innen werden vermutlich fälschlicherweise tippen, dass Heidelberg größer als Bielefeld ist, weil sie schon von Heidelberg gehört haben, aber nicht von Bielefeld. Allerdings lassen sich ebenso Situationen generieren, in denen Heuristiken zu genauso guten Ergebnissen führen wie kompliziertere Entscheidungsstrategien oder diese sogar übertreffen.

Warum verwenden wir Heuristiken?

Heuristiken bieten drei wesentliche Vorteile: Sie sind schnell, mühelos anwendbar und liefern zufriedenstellende Ergebnisse. Stellen Sie sich vor, Sie müssten als Nicht-Fussballfan auf eine englische Fußballmannschaft wetten, die den Ligapokal gewinnen wird. Sie können auf die Rekognition setzen und Manchester United wählen, weil Ihnen der Name des Vereins in der Verbindung mit promindenten Spielern wie Eric Cantona bekannt vorkommt. Das Wiedererkennen findet als erster Schritt automatisch statt, bevor Sie in einem zweiten Schritt auf Ihr Wissen zurückgreifen können.


Stellen Sie sich nun vor, Sie müssten sich zwischen zwei Aktienpaketen entscheiden und können dazu Ihren Bankberater, Ihren Vater, der Aktien besitzt, und einen Freund, der BWL studiert, befragen. Diese drei Quellen können ihrer Validität entsprechend sortiert werden: 1. Bankberater, 2. Vater, 3. Freund. Wenn Sie die Take.the-Best Heuristik verwenden, befragen Sie zuerst den Bankberater, da er sich am besten mit Aktien auskennt. Wenn er ein Aktienpaket positiv und das andere negativ bewertet, dann entscheiden Sie sich entsprechend. Wenn er die beiden Aktienpakete gleich bewertet, gehen Sie zu Ihrer nächsten Quelle, Ihrem Vater, weiter. Wenn er ein Aktienpaket positiv und das andere negativ bewertet, dann ist Ihre Wahl getroffen. Wenn er die beiden Aktienpakete auch gleich bewertet, befragen Sie Ihre nächste Quelle, bis all Ihre Wissensquellen ausgeschöpft sind. Wenn Sie dann immer noch keine Entscheidung fällen können, müssen Sie raten. Im besten Fall können Sie bereits nach Ihrer ersten Quelle und somit schnell entscheiden.

Gleichzeitig haben Sie eine möglichst gute Wahl getroffen, da Sie sich auf die Quelle mit dem meisten Wissen verlassen. Sie könnten alternativ alle Informationen zu beiden Aktienpaketen einholen, den Informationsquellen bestimmte Gewichte zuordnen und die gewichteten Informationen zu zwei Gesamtwerten addieren, um diese Werte zu vergleichen. Aber das erfordert deutlich mehr Zeit und Anstrengung.

Prominenz schlägt Kompetenz

Ein Gefühl für die Wiedererkennung entsteht durch Mediatoren wie Zeitungen, Fernsehen, Internet oder auch andere Menschen. Große Städte werden häufiger in den Medien erwähnt, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass eine Stadt wiedererkannt wird Ein solcher Zusammenhang konnte auch für andere Bereiche, wie Sport und Wirtschaft, nachgewiesen werden

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Heuristiken in vielen unserer Entscheidungen und Urteile Anwendung finden und dass sie, angepasst an die jeweilige Situation, zu guten Entscheidungen führen, ohne uns dabei viel Zeit und Mühe zu kosten. Wenn wir wetten wollen, welche Fußballmannschaft die Meisterschaft in England gewinnt und wir uns nicht mit Fußball auskennen, macht es durchaus Sinn, auf eine bekannte Mannschaft zu setzen. Hätten wir in der Saison 2012/13 auf Manchester United getippt, hätten wir die Wette tatsächlich gewonnen. In der Saison 2022/23 wäre Manchester City wohl die erfolgversprechendere Schätzung. Wenn wir auf Diät sind, müssen wir nicht unbedingt die Inhaltsstoffe verschiedener Mahlzeiten vergleichen, sondern können uns einfach für ein vegetarisches Gericht entscheiden, da Gemüse und Tofu in der Tat weniger Kalorien als Fleisch haben. Wenn wir auf das Auto als gefährlichstes Verkehrsmittel tippen, weil uns am einfachsten Beispiele dazu eingefallen sind, dann liegen wir auch damit absolut richtig. Richtig angewendet können Heuristiken uns also in einer sich schnell wandelnden Welt mit vielen kognitiven Anforderungen durchaus nützlich sein.

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