Warum Meetings manchmal scheinbar unaufhaltsam dummen Ideen folgen…
Das Problem
Dass in Meetings in Organisationen immer mal wieder falsche Entscheidungen getroffen werden, ist zu einem gewissen Grad normal. Gefährlich wird es aber dann, wenn sich diejenigen, die es diskutiert haben, einige Zeit später mit den Konsequenzen ihrer Entscheidungen konfrontiert sehen und sich gar nicht daran erinnern können, überhaupt dabei gewesen zu sein. Nach der Empörung: „Wer hat diesen Quatsch denn entschieden?“ kommt die Untersuchung und die Einsicht: „Oh, anscheinend ich. Jedenfalls war ich dabei und stehe im Protokoll.“
Klar ist, das starke Führungskräfte in so einem Fall noch einmal im Team die gemeinsamen Kommunikationsprinzipien durchsprechen, um dafür zu werben, alle Inhalte solange zu hinterfragen bis es für alle verstanden ist und nichts „im Gedachten“ zu belassen. So kann sich eine offene Meetingkultur entwickeln, die Irritationen zulässt und Kritik nicht unterdrückt.
In meinen Seminaren lernt und trainiert man genau das: Wie ich als Leitender oder Beteiligter in einem Meeting methodisch Transparenz schaffe und moderierend die Gruppe zu schnellen, aber gründlichen Ergebnissen bringe. Das Ganze darf gern ostwestfälisch knapp sein, aber immer auf den Punkt.
Was ist da genau los?
Nichtsdestotrotz gibt es gerade bei unmoderierten Meetings einen mächtigen Gegner: Das „Eigenrecht der Situation“, welches laut dem Soziologen Luhmann jedes Treffen begleitet. Jede Zusammenkunft in Deinem Unternehmen läuft entlang einer Reihe von Gesetzmäßigkeiten und Regeln , die sich kaum aushebeln lassen und sogar die formalen Regeln der Organisation „überschreiben“. Mit diesen Regeln müssen wir umgehen, wenn wir Dummheiten verhindern wollen.
Luhmann wies darauf hin, dass soziale Situationen für die Beteiligen „eigenen Entwicklungsbedingungen genügen und vor typischen Gefahren des Scheiterns bewahren“ müssen. Der Psychologe Eric Berne sprach vom „Gruppenimago“, also einem Bild der Gruppe mit den Teilnehmenden, deren Ziele und den unausgesprochenen Gesetzen dieser Gruppe, welches bei jedem anders aussehen könne. Ich achte also zunächst auf meinen „Schutz“ als Gruppenmitglied und dann auf meine Ziele.
Alle im Meeting achten zunächst auf die in der Gruppe entstehende Hierarchie und mögliche Konflikte und Allianzen. Wichtig ist gerade zu Beginn die hierarchisch höchste und/ oder die leitende Funktion. Diese Gruppenstruktur ist die Basis des Meetings.
In der Folge entsteht die Dynamik durch das Geschehen selbst: Es werden bestimmte Verhaltensweisen nahegelegt, andere entmutigt, einige als sinnvoll, andere als störend bewertet. Es werden allgemein Aussagen als beifallssicher oder als anstößig bewertet. Smalltalk sorgt oft für die erste Einordnung.
Der Einstieg ist entscheidend. Beginnt ein Meeting konfrontativ, werden Selbstironie oder Komik wahrscheinlicher. Sagt der anwesende Chef, er wünsche zügig durchzukommen- wird es wenig Gegenvorschläge geben. Gibt es zu Beginn Sekt und den Wunsch nach „Zwist beiseitelassen“, wird es keine sachlichen Klärungen geben.
Die Gruppendynamik
Nun beginnt der gefühlte Gruppeneffekt: Wer Widerspruch unterlässt wird zum Unterstützer des Ablaufes. Durch das Sich-Einlassen, durch seine Selbstdarstellung als Teilnehmer, verpflichtet sich jeder Anwesende auf die Situationsordnung – und beginnt sie zu verteidigen, wenn sie in Gefahr gerät. Das wird dann besonders schwer, wenn mich die Rolle als mitverpflichteten Situationsteilnehmer in Konflikt mit der Rolle bringt, für die ich eigentlich in dieses Meeting gekommen bin. Ich unterlasse dann den Hinweis auf eine fachliche Unschärfe aus Rücksicht auf den aktuell Vortragenden. Oder weil ich nach Entgleisungen Anderer nicht auch noch mit meinen Beiträgen „bremsen“ will, halte ich meine Idee zurück.
Alle Beteiligte haben ein System im Kopf, welches definiert, was angemessen ist und was nicht. Eric Berne stellte in einem Live-Experiment als Gast in einer Geisterbeschwörungszeremonie inhaltlich kluge, aber nicht konfrontative Fragen an die Beteiligten und bekam einen sehr hohen Grad an persönlicher Ablehnung der gesamten Gruppe ab. Nicht alles, was gesagt werden kann, kann hier auch gesagt werden und das untersuchte Berne zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Veranstaltung. Berne versuchte es mit Witzen, stellte technische Details in Frage, brachte wertfreie Verständnisfragen ein und stellte mit einer Metafrage den „Sinn“ der Veranstaltung in Frage. Jedes Mal brachte er Verwirrung und Unordnung in die Veranstaltung und bekam zunehmend den Hass der Gruppe und deren Funktionsträger zu spüren.
Was kann ich daraus mitnehmen?
Es gilt zu Beginn die entscheidenden Aussagen zu hinterfragen, da zu Beginn des Meetings und zu Beginn der Selbstverpflichtung in der Situation noch relativ erfolgreich für konstruktive Rahmenbedingungen gesorgt werden kann. Wenn hierarchisch höhere Personen dumme Entscheidungen moderiert haben, darf ich mit Blick auf den möglichen Gesichtsverlust des/r Leitenden ein Gespräch unter vier Augen zu den Bedenken zeitnah nach dem Meeting suchen. Ich kann zu Beginn des Meetings durch den Einsatz moderativer Methoden und Analysetechniken in der Moderationsrolle eine Qualifizierung der Ergebnisse anbieten. Oder ich kann mich einfach trauen und auf fehlende Qualität in der Einschätzung der sachlichen und fachlichen Rahmenbedingungen hinweisen – und die Ablehung der Gruppe aushalten.