Flipped Classroom

Wenn wir an den typischen Schulunterricht denken, dann folgt dieser einem altbewährten Schema: Im Unterricht vermittelt die Lehrperson die grundlegenden Inhalte, in Hausaufgaben vertiefen die Lernenden das Gelernte und wenden es auf neue Bereiche an. Der übliche Mathematikunterricht dient hier als bestes Beispiel: Im Unterricht lernen die Schüler an einfachen Beispielen, wie man die Nullstellen einer Funktion berechnet, in den Hausaufgaben üben sie dieses Vorgehen dann mit komplizierteren Funktionen. Diese Struktur des Unterrichts hat uns so sehr geprägt, dass wir sie allzu oft für ein Naturgesetz halten, an dem sich nichts ändern lässt.
Was aber, wenn wir die Organisation des Unterrichts einfach umdrehen? Die Schüler eigenen sich die grundlegenden Inhalte, die in Videos, Animationen oder anderen digitalen Medien aufbereitet sind, allein an. Wenn sie dann in den Unterricht kommen, kennen sie die Grundlagen bereits, können Fragen stellen, ihr Wissen vertiefen und es anwenden. Dieses Konzept wird mit den Begriffen „flipped classroom“ oder „inverted classroom“ bezeichnet, zu deutsch also etwa „umgedrehter Unterricht“. Die Organisation des Lernens wird umgekehrt.
Umgedrehter Unterricht hat einige Vorteile gegenüber dem üblichen Vorgehen: Dadurch, dass jeder Schüler sich eigenständig mit den Inhalten auseinandersetzt, kann jeder auch im eigenen Tempo vorgehen. Erklärvideos können angehalten oder zurückgespult, eine Animation in beliebiger Geschwindigkeit abgespielt werden. Natürlich kann dieses Selbststudium auch Aufgaben beinhalten, die man eigenständig bearbeitet oder Fragen, die man sich selbst beantwortet. So kann sich jeder die Zeit nehmen, die er braucht, es wird aber auch niemand unterfordert. Gerade mit den heutigen Möglichkeiten, jederzeit und überall an Informationen zu kommen, ist man nicht mehr auf die Lehrperson als alleinigem Wissensvermittler angewiesen. Außerdem setzen die Schüler sich, solange sie allein sind, vor allem mit den grundlegenden und einfachen Inhalten auseinander. Wenn sie dann in den Unterricht kommen, in dem ihnen der erfahrene Lehrer zur Seite steht, geht es an die schwierigen Themen und die Details. Der Lehrer wird also zum Lernbegleiter und Coach, er unterstützt bei Selbstlernen und ist natürlich auch für Fragen da, die die Schüler sich nicht selbst beantworten konnten.
Diese Vorteile nutze ich auch in meinen Seminaren und Workshops. Anstatt dass ich den Teilnehmern die Inhalte in Präsenz erkläre, stelle ich Ihnen Videos zur Verfügung, die die relevanten Themen einführen und die sich jeder in freier Zeiteinteilung angucken kann. Die Teilnehmer kommen dann vorbereitet ins Seminar und können die Themen dort diskutieren, vertiefen und anwenden. So kann die zur Verfügung stehende Zeit optimal für die Dinge genutzt werden, die man eben nicht allein tun kann und die vom Austausch mit anderen profitieren.
Das benötigt aber natürlich auch eine gewisse Eigeninitiative von den Seminarteilnehmern. Wenn sich einzelne Teilnehmer nicht vorbereiten, funktioniert das Konzept nicht und darunter leiden auch die anderen Teilnehmer. Eine Firmenkultur, die selbständiges Lernen zu ihren Leitlinien zählt, eignet sich besonders gut für diesen Ansatz. Ein Umfeld, das klassische Seminare im Frontalunterricht gewohnt ist, benötigt hier mehr Unterstützung, sich mit neuen Formen des Lernens auseinanderzusetzen.