Gefährlicher Small-Talk im Einstellungsinterview
Bewerbungsgespräche sind oft in den ersten fünf Minuten entschieden. Ein kurzer Smalltalk über Anreise, Wetter oder Hobbys – und schon steht im Kopf ein Urteil. Sympathisch? Unsicher? Passt ins Team?
In einer Studie des Georgia Institute of Technology in Atlanta (2016) bewerteten Interviewer die fachlichen Fähigkeiten von 163 Personen. Jedes Interview begann mit einem Smalltalk-Teil, dann wurden 12 fachliche Fragen gestellt. Diejenigen, die im Smalltalk besser waren erhielten insgesamt bessere Bewertungen, selbst wenn sie bei Fachfragen die gleichen Ergebnisse lieferten.
Smalltalk im Bewerbungsgespräch ist die größte Bias-Falle für Führungskräfte und Recruiterinnen, denn gerade Führungskräfte neigen dazu, Kandidatinnen schon in den ersten fünf Minuten einzuschätzen. Der anschließende Interviewteil dient oft nur noch dazu, diese Vorentscheidung zu bestätigen.
Was passiert genau bei typischen Small-Talk-Phasen? Hier eine Zusammenstellung:
Typische Small-Talk-Fallen im Bewerbungsgespräch
| Smalltalk-Frage | Warum sie gefährlich ist | Typischer Bias-Effekt |
| „Haben Sie gut hergefunden?“ | Unwichtige Info wird positiv/negativ bewertet | Sympathiebonus bei souveräner Antwort |
| „Wie war Ihre Anreise?“ | Extrovertierte punkten mit lockeren Anekdoten | Extrovertierte wirken kompetenter |
| „Hatten Sie Probleme mit dem Verkehr / der Bahn?“ | Persönliche Umstände überstrahlen den Gesprächseinstieg | Wer humorvoll erzählt, bekommt Pluspunkte |
| „Wie gefällt Ihnen unser Büro?“ | Belanglos, aber Lob erzeugt Nähe | Wer lobt, gilt automatisch als interessiert |
| „Waren Sie schon einmal in unserer Stadt?“ | Relevanzlos für den Job | Ortskenntnis wirkt wie ein Pluspunkt |
| „Wie war Ihr Wochenende / Urlaub?“ | Freizeit-Infos beeinflussen Bewertung | Gemeinsame Hobbys erzeugen Sympathie |
| „Mögen Sie Kaffee oder Tee?“ | Harmlos, aber selbst Vorlieben verzerren den Eindruck | Ähnlichkeiten werden überbewertet |
Der erste Schritt: Gibt es Warnsignale?
Ich muss im Gespräch wachsam bleiben und vor allem ehrlich zu mir selbst:
- Habe ich zu viele Gemeinsamkeiten? Ein Hobby oder ein privates Thema im Smalltalk wirkt plötzlich wichtiger als die Jobkompetenz.
- Habe ich einen Sympathie-Überhang? Ich fühle mich sofort „auf einer Wellenlänge“ – und stelle danach weniger kritische Fragen.
- Ist das Gegenüber zu introvertiert? Kandidat·innen, die im Smalltalk zurückhaltend sind, bekommen automatisch schlechtere Karten.
- War der lockere Einstieg mit positiver Stimmung „überstrahlend“ und verdeckt Fakten? Ein lockerer Einstieg lässt später schwache Antworten besser erscheinen, als sie sind.
- Argumentiere ich Smalltalk-Themen im Urteil? Zum Beispiel „Passt gut ins Team“ – ohne dass dafür harte Belege aus dem Gespräch vorliegen.
- Hatte das Gespräch Unangemessene Tiefen? Das Gespräch driftet ab in persönliche Themen (Urlaub, Familie), die mit der Rolle nichts zu tun haben.
- Haben wir im Beurteiler-Team Abweichende Eindrücke gesammelt? Mehrere Interviewende haben unterschiedliche Einschätzungen – meist abhängig davon, wie stark sie vom Smalltalk beeinflusst waren.
Der zweite Schritt: Niemand ist frei von Beeinflussung, aber oft wirken die Einflüsse nicht auf jede*n gleich: Ich brauche einen „Bias-Buddy“!
Ein Bias-Buddy ist eine Kollegin oder ein Kollege, die bzw. der das Gespräch mitführt – mit einer klaren Aufgabe:
- Beobachten: Achtet darauf, wann Smalltalk oder Sympathie den Verlauf zu stark prägen.
- Korrigieren: Greift aktiv ein, wenn die Struktur verloren geht – zum Beispiel mit einem sanften Übergang zurück zur Frage.
- Neutralisieren: Bringt eigene Wahrnehmung ein, wenn die Einschätzung der Gesprächsführenden zu stark vom ersten Eindruck geprägt wirkt.
Der Bias-Buddy sorgt also nicht nur nach dem Interview für ein objektiveres Urteil, sondern wirkt bereits im Gespräch korrigierend – damit Smalltalk nicht aus dem Ruder läuft.
Der dritte Schritt: Vorbereitete inhaltliche Fragen, passend zur Funktion
A: Fragen zu Fakten
„Welche messbaren Ergebnisse haben Sie in Ihrem letzten Projekt erzielt?“
„Wie viel Umsatzsteigerung oder Kostensenkung ging konkret auf Ihr Konto?“
„Welche Kennzahl zeigt am besten, dass Sie in Ihrer Rolle erfolgreich waren?“
B. Situative Fragen zum Umgang mit persönlichen Herausforderungen
„Was macht sie so sicher, dass Sie der Aufgabe gewachsen sein werden. Wann brächten Sie vermutlich Unterstützung?
„Stellen Sie sich mal folgende Situation vor: Ich bin Kunde und bitte Sie….“
„Wie stellen Sie sicher, dass Sie die Aufgabe nicht unterschätzen?“
C. Fragen zu dem, was die Person in naher Zukunft konkret erreichen und entwickeln möchte.
„Was würden Sie in den ersten 90 Tagen bei uns sofort anpacken?“
„Wenn wir uns in einem Jahr wiedersehen: Woran machen Sie Ihren Erfolg fest?“
„Welche Veränderung in unserer Branche zwingt uns, in den nächsten 2 Jahren anders zu arbeiten?“
Unser Angebot
All das im Beitrag beschrieben lässt sich im „Interviewtraining“ oder „Interview-Coaching“ mit professionellen Rollenspieler*innen fantastisch trainieren und einschleifen. Wir produzieren bei Bedarf auch Lern- und Trainingsvideos und bieten KI-Assistenten zum Trainieren für leichte und standardisierte Gespräche. Jede Branche und jedes Unternehmen erhält bei uns ein auf sie zugeschnittenes Angebot.
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